Von der Maremma in die Abruzzen







Die Maremma ist ein weitläufiges, am tyrrhenischen Meer liegendes Gebiet zwischen der Toskana und dem Latium. Fälschlicherweise wird, wegen seiner besseren Bekanntschaft, oft nur das Gebiet von Grosseto als Maremma betrachtet.
Der Name leitet sich für manche Experten vom lateinischen maritima (1) ab, für andere jedoch vom kastilischen marismas – was „Sumpf” bedeutet (nicht weiter verwunderlich, da sich in der Nähe von Castiglione della Pescaia ein wichtiges Sumpf-Naturschutzgebiet namens Diaccia Botrona befindet).
Dante definierte zu seiner Zeit das Grenzgebiet zwischen Cecina (Livorno) und Tarquinia (Viterbo), bereits als Corneto bekannt, folgendermaßen:
„Selbst dort nicht zwischen Cecina und Corneto, wo jene ordnungsscheuen Bestien hausen,
gedeiht so dicht und dornig das Gestrüpp”
( Dante, Inferno, Canto XIII, vv. 7-9)
Die anspruchsvollste, gleichzeitig auch zutiefst befriedigende berufliche Aufgabe war jene als Tierarzt der unzähligen Maremmen-Hunde der Prinzen Corsini. Durch diese Tätigkeit wuchs die Beziehung zum Hause der Prinzen Corsini, und mehr noch entstand daraus auch eine tiefe, tragfähige Freundschaft mit Don Tommaso und seiner Schwester Donna Anna (Präsidentin der Vereinigung der Maremmen Abruzzen Schäferhunde). Das ist aber noch nicht alles. Das Reisen zwischen ihren Ländereien und ihren Schlössern in Umbrien und den riesigen Ländereien der Villen in der Toskana erlaubte mir das kennenzulernen, das ich immer noch für den arteigendsten und faszinierendsten Landesteil Italiens halte: „La Maremma”. So kannte ich auch die Bewohner der ehemaligen Malaria-Prärie: „die Butteri”, denen Tolomeo Faccendi und Prinz Francesco, beide Bildhauer, ein Denkmal gewidmet haben. Das Eine steht vor dem Bahnhofsgebäude in Grosseto und ein weiteres in Campo di Mare an der römischen Küste unweit von Ladispoli. Um einen visuellen Eindruck dieser wilden Prärien zu geben, muss man die Gemälde betrachten, welche der große Maler Giovanni Fattori aus Livorno in Marsiliana d‘Albegna geschaffen hat. Dieser war dort des öfteren Gast des Prinzen Tommaso Corsini (ein Sammler von Dokumenten mit Bezug zu Landschaft, Umgebung und der Traditionen der Aufzucht von Wildvieh – um eine Reihe von Meisterwerken zu schaffen in denen die wahre Maremma zum Leben erweckt wurde). Dem Betrachter zeigt sich eine Art lokaler Westen, ein Bild mit grenzenlosem Meer, Weiden zwischen Gestrüpp und Küste, ohne Bäume, ohne Häuser noch nicht einmal Hütten; Zäune um die unebene, staubige Via „Maremmana” abzugrenzen, Hunderte von grasenden, muhenden Rinderköpfen; große, tiefschwarze Stiere, die jede menschliche Annäherung misstrauisch beäugen; Schäferhunde, weiß und rastlos über ihre Herden wachend; Turmfalken, hoch am Himmel kreisend – und ins Blaue kreischend, um sich dann im Sturzflug auf ihre Beute zu stürzen.
Und er, der Cowboy, in derben Baumwollflanell gekleidet, gealtert und gezeichnet von den Anstrengungen, seine Hosenbeine aus Ziegenleder – um sich vor Dreck, Fäulnis und den Dornenverletzungen durch die Büsche zu schützen – sein unrasiertes Gesicht, verbrannt und faltenreich durch die glühende Hitze; er, fest im Sattel seines widerspenstigen Pferdes, streift durch die Herden in dieser gottverlassenen Gegend. Sehen Sie sich – in jeder Monographie, die dem Gründer der Macchiaioli-Schule gewidmet ist – das Gemälde „Mandrie maremmane” (Maremma-Herden) an, mit seiner sonnigen, wilden, rauen Atmosphäre, aufgelockert durch den blauen Hauch des Meeres; oder das mit dem Titel „Butteri e mandrie in Maremma” (Butteri (Kuhhirten/Cowboys) und Herden in der Maremma), in dem die kraftvolle und ungebändigte Energie der Pferde, Männer und der Ochsen unterm sich verdunkelnden Himmel dem Sturm trotzt; oder – wieder das Bild „La marcatura dei torelli” (die Brandmarkung der Stiere), das von intensivem, kollektiven Treiben der widerspenstigen Tiere lebt und förmlich zu beben scheint. Schauen Sie sich diese großartigen Gemälde an, Zeugen einer Epoche, eines ländlichen Brauches, Bildnisse existentieller Dimension, sozialer Ereignisse in gewisser Weise mythisch in Fabeln festgehalten. Die Maremma der Hirten und Schafherden, des Latifundiums und seiner proletarischen Bevölkerung die dazu verdammt ist, zwischen Busch und Prärie zu leben, in der existentiellen Dimension der täglichen Mühseligkeit. Es überfällt einen die Lust, den Dörfern der Maremma unserer Kindheit nachzuweinen, wo man nicht einmal das Radio knistern hörte; in jenen Dörfern war Weihnachten kein heidnisches Fest wie heute, bei dem von nichts anderem die Rede ist als von Geschenken, vom Schenken und Beschenkt werden, von Panettone und Sekt, von imposanten Mittag- und Abendessen, die in Restaurants außerhalb des eigenen Heims zelebriert werden. Das wichtigste religiöse Fest des Jahres wurde in der Familie erlebt, nachdem man an den Novenen teilgenommen hatte und in den Tagen vor der Geburt Christi kamen die „zampognari” (oder „pfifferazzana” die Pfeifer oder Dudelsackspieler, wie wir ihr rustikales Instrument nannten) aus den Abruzzen und das Wiegenlied, das sie verbreiteten, aus kantigen und rauen Tönen, kratzte an der Stille des Dorfes und ließ einen die Krippenszenarien erahnen. Und dann, im Frühjahr, die großen transhumanen Herden die aufbrachen in die Berge des Apennins, stets geführt und begleitet vom unverzichtbaren Maremmen Abruzzen Schäferhund.
Darüber schreibt mein Freund Don Tommaso Corsini in einem treffenden Artikel der Zeitschrift „I Nostri cani”: „Bis vor 40 – 50 Jahren weideten die großen transhumanen Herden, auch bekannt als „vergherie”, im Winter auf den Ländereien der gesamten tosca-lazialen Küste (Maremma) und zogen nach der Schur auf die Bergweiden des Apennins. Diese Sommerweiden begannen in den Bergen von Pistoia und setzten sich über mindestens 300 Kilometer in Richtung Südosten fort. Die Herden, die aus Merino- oder ihnen artverwandten Schafen (Vissane oder Sopravissane) bestanden, wurden alle von großen, weißen Hunden mit schwarzer Pigmentierung begleitet und bewacht.
Die Herden und auch die Hunde gehörten großteils Landgutbesitzern in den Regionen der Maremma und des Latiums mit großen, weitläufigen Ländereien die in der Regel auch Bergweiden – hunderte Kilometer von ihrem Landgut entfernt – pachteten oder selbst besaßen. Es gab jedoch auch ansässige Hirten, die große Weiden in den hohen Tälern der Toskana, Umbriens, der Marken und der Abruzzen ihr Eigen nannten und im Oktober von den Viehweiden herunterkamen nachdem sie die Winterkräuter besorgt hatten. Der selbe Hundetyp war auch für diese Schafherden verantwortlich. Genaugenommen sollten wir ihn „Hund, der für die Merinoherden auf der tyrrhenischen Seite Mittelitaliens zuständig ist” nennen. Ergängzend kann erwähnt werden, dass von den transhumanen Herden sowohl im Mai als auch im Oktober sehr oft Welpen auf dem Weg abgegeben wurden, und somit eine beachtliche Anzahl von Hirtenhunden die Besitztümer, Villen und Bauernhöfe der Toskana und Umbriens bereicherten und bewachten.”